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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 29.11.2002


Was für eine Arbeitsmarktpolitik brauchen Frauen
Ilka Fleischer

Unter dieser Fragestellung setzten sich Praktikerinnen bei der Abschlussveranstaltung der Informationswochen "Zurück in den Beruf" auch mit den Vorschlägen der Hartz-Kommission auseinander...




Hartz - doch nicht gender-blind?

Nach zwei wohlorganisierten Informationswochen unter dem Motto ‚Zurück in den Beruf" hatte das Frauenbeauftragten-Büro Tempelhof-Schöneberg zum Finale geladen: Fünf Referentinnen aus der Praxis, ein gut gefüllter Saal mit interessierten Zuhörerinnen und eine Handvoll Männer tauschten sich über den Optimierungsbedarf arbeitsmarktpolitischer Instrumente aus - und nicht zuletzt über die frauenpolitische Wirkung der ‚Hartz-Vorschläge".

Unter der professionellen Moderation der Frauenbeauftragten Dagmar Birkelbach problematisierten die Referentinnen den Umgang mit ‚weiblicher Arbeitslosigkeit" zunächst aus ihrer jeweiligen Praxis im Arbeits- und Sozialamt, in Beratungsstellen bzw. bei Qualifizierungs- und Beschäftigungsträgern.

Marianne Konermann, von KICK - Verbund für Beschäftigung und Qualifizierung, betonte dabei, dass von der Arbeitslosigkeit betroffene Frauen nicht allein Bewerbungstraining und Beratung bräuchten, sondern vielfach auch ‚Hilfe beim Familienmanagement". Die unzureichenden Kinderbetreuungs-Angebote stellen eine enorme Hürde für Frauen auf dem Weg ‚Zurück in den Beruf" dar.
Barbara Horstmann, Beauftragte für Chancengleichheit im AA Südwest, akzentuierte vor allem den Aspekt individueller Initiative und Durchsetzungskraft: Sie empfehle Frauen, die bestehenden Beratungs- und Infoangebote voll auszuschöpfen. Bei Arbeitsamts-Besuchen sei eine gute Vorbereitung unabdingbar, um sich unter dem zunehmenden Druck ‚nichts aufdrücken zu lassen".
Pia Keuckert, von Raupe und Schmetterling, berichtete von vermehrten Kollisionen zwischen den in ihrer Beratungsstelle angebotenen Berufsorientierungs-Seminaren und den vom AA spontan zugewiesenen Profiling-Maßnahmen. Weiterhin kritisierte sie den Mangel an passgenauen modularen Weiterbildungen, die Frauen als zielgerichtete Anpassungsqualifizierung nutzen könnten, anstatt thematisch und zeitlich ‚breit" gehaltene Fortbildungen zu besuchen. Eine stärkere Zusammenarbeit der - nach Hartz benannten - ‚Profis der Nation" sei unabdingbar, um derlei Reibungsverluste zu vermeiden.
Cornelia Enders, vom Sozialamt Tempelhof-Schöneberg, verdeutlichte die Rolle des Sozialamtes als ‚letztes Glied in der Kette" bei der Frage nach der Weiterbildungsfinanzierung für Sozialhilfeempfängerinnen: Vorrangig müsse frau alle anderen Leistungsträger - also Familie, PartnerIn, Arbeitsamt... - abklappern. Mit dem Fallmanagement im Rahmen der ‚Hilfe zur Arbeit" würden arbeitsfähige Frauen auf dem (Rück-)Weg in den 1. Arbeitsmarkt allerdings intensiv unterstützt.
Lucie Burger, von BITAN - Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft, brach eine Lanze für Erhalt und Würdigung des zweiten Arbeitsmarktes: ABM, SAM und IDA-Maßnahmen seien nicht nur eine gute Basis, um (wieder) in den 1. Arbeitsmarkt zu gelangen, sondern in Anbetracht der fehlenden Arbeitsplätze für viele die einzige Möglichkeit überhaupt, der Arbeitslosigkeit zu entrinnen. Darüber hinaus sei der geplante ABM-Abbau insofern praxisfern, als dass mittlerweile ganze Branchen auf den Kapazitäten des 2. Arbeitsmarktes basierten.

Im weiteren Verlauf des Abends wurde der Bericht der Kommission zum Abbau der Arbeitslosigkeit und zur Umstrukturierung der Bundesanstalt für Arbeit (kurz: Hartz-Kommission) zunehmend ins Visier gerückt - aus frauenpolitischer Perspektive. Abgesehen von einer spürbaren Unsicherheit zum aktuellen Umsetzungs-Stand der Hartz-Vorschläge wurden positionelle Diskrepanzen zu jüngeren Aussagen frauenpolitischer Gremien deutlich.
Entgegen der Schlagzeile der Kolleginnen des Deutsche Frauenrates "Hartz-Gesetz ist gender-blind" äußerten sich die Podiums-Vertreterinnen im allgemeinen wesentlich Hartz-freundlicher: Während die Einführung der ‚Mini-Jobs" von den meisten Anwesenden zwar mit großer Skepsis diskutiert wurde, erhoben sich zu den Themen PersonalServiceAgenturen (PSA), Ausbildungs-Zeit-Wertpapier, ICH-AG und Bridge-System nur wenig Gegenstimmen*.

Die weitgehend wohlgesonnenen Äußerungen gegenüber den Hartzer Reformplänen gipfelten in der Bemerkung der Arbeitsamts-Vertreterin, Barbara Horstmann, mit Hartz seien das erste Mal Arbeitsförderung und Kinderbetreuung zusammengebracht und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf anvisiert worden. Die kontroverse Diskussionsfreude zum Thema Hartzer Arbeitsmarktpolitik für oder wider Frauen? wäre sicherlich durch die Anwesenheit einer BAG-Vertreterin verstärkt worden. In ihrer Stellungnahme vom 10.09.02 bezieht die Bundesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Frauenbüros nämlich eine deutliche Kontraposition:

"In den vergangenen 20 Jahren seit Einrichtung der ersten Frauenbüros in der Bundesrepublik hat es kaum ein gleichstellungspolitisch rückschrittlicheres Papier auf höchster Ebene gegeben. Der Geist des Berichtes ist geprägt vom Familienmodell der 50er Jahre mit der zugewiesenen Rolle - Frauen an Heim und Herd - und dem Mann als Ernährer und Erwerbstätigen."



*Im Rahmen der sogenannten ‚13 Innovationsmodule" des Kommissions-Berichtes werden diese Stichworte unter frauenpolitischen Gesichtspunkten besonders heiß diskutiert. Vergleichen Sie dazu z.B. die folgenden Links:
zur Kurzfassung des Hartz-Berichtes
zur BAG-Stellungnahme


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Beitrag vom 29.11.2002

AVIVA-Redaktion